Es gibt eine Anekdote über Cristiano Ronaldo, die von Sportler zu Sportler in einer skurrilen stillen Post weitergetragen und mit Ehrfurcht dahingehaucht wird. Sie ist vielleicht wahr, vielleicht erfunden, aber definitiv zum Mythos geworden. Nach dem legendären zehnten Champions-League-Titel Real Madrids, "La Décima", soll er bei den Feierlichkeiten einen Mitspieler gefragt haben, ob er einen Schluck seiner Coca-Cola probieren dürfe. Auf die Frage, warum er sich nicht selbst eine bestelle, antwortete er, dass ein Schluck genüge, um den Erfolg zu feiern. Das war die größte Überschreitung seiner rigorosen Disziplin, die Ronaldo sich an diesem Abend erlaubte.

Die Anekdote fasst das Wesen dieses Mannes zusammen, der zu den größten Fußballern aller Zeiten zählt. Einerseits ist man ergriffen von so viel Selbstkontrolle und bekommt eine Ahnung davon, was es braucht, um in diesem Beruf zu den Besten zu gehören. Andererseits möchte man Cristiano Ronaldo die Hand auf die Schulter legen und in Eintracht-Frankfurt-Manier sagen: "Mach dich mal locker, Brudi." Ein Schluck Cola ist schön und gut, aber hast du mal Bier probiert? Hat er nicht. Das erste und einzige Mal, so wird berichtet, dass er Alkohol konsumierte, war ein Glas Champagner, nachdem Portugal 2016 sensationell Europameister wurde. Dazu muss man wissen: Cristiano Ronaldos Vater war Alkoholiker und starb an Leberversagen, als Cristiano erst 20 Jahre alt war.

Für alles, was man an Ronaldos Entscheidungen absurd oder erstaunlich finden kann, gibt es Erklärungen in seinem Lebenslauf, sie liegen herum und warten darauf, aufgehoben und gesehen zu werden. Man mag sich zum Beispiel fragen, warum ein Fußballer, der zu den wenigen Milliardären in der Sportwelt gehört, den Hals nicht vollbekommt. Warum sein Konterfei noch ein Computerspiel mehr zieren muss, warum er noch eine Unterhosenkollektion auf den Markt bringt und schlussendlich sogar nach Saudi-Arabien geht. Ronaldos Familie war sehr arm, als er zur Welt kam. Das ist zwar keine Entschuldigung, aber durchaus eine Erklärung.

Er war oft ein Held und oft der Geächtete. Er spaltet das Publikum. Ausnahmslos alle jedoch respektieren ihn, den erfolgreichsten Torschützen aller Zeiten. Warum er im Vergleich zu seinem großen Rivalen Lionel Messi auf der Beliebtheitsskala stets den Kürzeren zieht, hat Gründe. Seine Eitelkeit scheint nicht zu einem Sportler zu passen; während man Sport macht, will man doch eigentlich vergessen, wie man gerade aussieht. Da ist das Vorführen der Gegner – wir alle erinnern uns an den jungen Cristiano, der vier Übersteiger zu viel einbaut. Und da ist die Selbstbezogenheit, das Fordern des Balles, das Herumrollen auf dem Platz nach einem Foul und das Meckern. All das ist mit den Jahren nur weniger geworden, nicht verschwunden.

Der wichtigste Grund, warum er respektiert, aber zu wenig geliebt wird, sagt mehr über uns aus als über ihn. Obwohl Cristiano Ronaldo von Anfang an mit einem gottgegebenen Talent ausgestattet war, wird er nicht müde, die harte Arbeit zu betonen, die in seine Fähigkeiten fließt. Er isst streng nach Plan, er schläft streng nach Plan. Er war einer der ersten Fußballer, die neben dem Mannschaftstraining noch einen Personal Coach engagierten. Wenn die anderen zum Duschen gingen, übte Cristiano Freistöße. All das nervt uns, weil es suggeriert, dass auch wir außergewöhnlich sein könnten, wenn wir nur die Disziplin aufbrächten. Wir möchten daran glauben, dass man entweder als ein Lionel Messi oder ein Roger Federer geboren wird oder eben nicht. Dann ist es nur Losglück, nichts anderes. Wären Sie sauer auf jemanden, der im Lotto gewinnt? Cristiano Ronaldo und Novak Đoković sind die Sportler, die dem Wort Talent eine neue Definition hinzugefügt haben. Disziplin und Durchhaltevermögen, Stunde für Stunde, Tag für Tag. Selbstkontrolle. Es ist kein Zufall, dass die beiden nie so geliebt wurden wie Federer oder Messi.

Die Crux an der Sache: Federer und Messi arbeiten genauso hart. Sie sind nur viel besser im Verstecken ihrer Mühen. Mick Clegg, Fitnesstrainer von Manchester United, sagt, dass es fünfeinhalb Jahre dauerte, bis Ronaldo den Körper hatte, der ihn zu einem der besten Fußballer aller Zeiten machte. Fünfeinhalb Jahre für einen Körper, der das angeborene Talent umwandelt in Erfolg. Wie ein Gehirn Schallwellen in Musik umwandelt (sonst schallten sie in der Welt herum ohne Rezipienten), wandelt Ronaldos Körper sein Talent in Rekorde um. Und ein Körper ist die Mischung aus dem Essen, das wir ihm zuführen, dem Training, das wir ihm zumuten, und dem Schlaf und der Regeneration, die wir ihm gönnen.

Die ganze Ambivalenz des Sportlers Cristiano Ronaldo wurde beim Achtelfinale gegen Slowenien als tragisches Schauspiel geboten. Elfmeter verschossen, Tränen vergossen, trotzdem weitergekommen. Der Held, der ihn errettet, ist Portugals Torwart Diogo Costa. Der erst kurz vor dem Ende einen slowenischen Schuss pariert und dann drei Elfmeter hält. Cristiano Ronaldo mag sich oft als Außenseiter gefühlt haben, etwa als er, auf Madeira geboren, mit 12 in Lissabon gehänselt wurde wegen seines Inselakzents. Oder als er als Weichei verlacht wurde in England, wo er die Sprache nicht konnte und von seinen Teamkollegen durch die Mangel gedreht wurde. Wegen seiner schiefen Zähne und seiner schlechten Haut. Aber im Fußball kommt eben manchmal doch der Ritter auf dem weißen Pferd zur Rettung, und das ist deine Mannschaft. Die Männer vor dir, hinter dir, neben dir, die dich stützen, wenn du einen Elfmeter verschießt. Und einer, der selbst drei hält.

Natürlich hat er seinen Zenit schon überschritten, und natürlich verliert er inzwischen Sprintduelle mit jüngeren Gegenspielern. Aber wie man alles von zweierlei Seiten betrachten kann, so gibt es für Sportler auch zweierlei Arten von Liebe. Die der Fans auf der einen Seite. Und die der Umkleide auf der anderen: die Liebe deiner Mitspieler, deiner Gegenspieler, deiner Kollegen. Und die ist Cristiano Ronaldo sicher. Jeder junge Fußballer, der mit ihm in einer Mannschaft spielt, erzählt von einem veränderten Lebensstil; vom Moment der Reflexion, ob man auch wirklich alles aus seinem Körper herausholt. Der georgische Stürmer Chwitscha Kwarazchelia erwies ihm die Ehre, als er im Moment des größten Triumphes für ihn und sein Land nicht selbst feierte, sondern zu seinem Idol Ronaldo stürmte und sich bei ihm bedankte.

Cristiano Ronaldo hat den Sport verändert. Er hat ihn professioneller gemacht. Wenn er es irgendwann noch schaffen sollte, von seiner großen Leidenschaft, dem Fußball, Abschied zu nehmen, wird er vielleicht zurückblicken. Und dann wird ihm etwas wichtiger sein als die Zuneigung launischer Fans: die Liebe von Flitzern, Kindern und seinen Kollegen.